Rechtzeitig aufstehen, denn heute geht es auf „große“ Fahrt. Jeans Bruder fährt mit mir raus ins „ländliche“ Minnesota. Erst auf dem Freeway, dann auf kleineren Straßen durch die Orte. Farmen, Touristenörtchen, Seen, denn Minnesota ist „Land of the 10.000 Lakes“. Und weil wir sowieso dort vorbeikamen, machten wir einen Abstecher nach Hazelden, einer der größten und bekanntesten Entwöhnungskliniken der USA. Hier ist die Hauptstelle und es gibt mehrere Ableger. Und weil wir schon mal da waren, haben wir höflich nach einer Führung gefragt, und tatsächlich kam eine Dame und gab uns eine einstündige Führung durch die Gebäude und erklärte uns alles und beantwortete uns Fragen. Sie fragte mich, ob wir auch nach dem Minnesota-Modell arbeiten. What? Insgesamt hatte ich den Eindruck, dass es viele Gemeinsamkeiten gibt, aber es hier strenger zugeht, was ich aber gut fand, denn die Betonung lag auf der Konzentration auf die Therapie. 4 Drogenberater plus Psychologe plus Krankenschwester plus was weiß ich was für eine Station mit 20 Patienten. Insgesamt ca. 200 Patienten und 700 Angestellte (inclusive eigenem Verlag). Die Pat. bleiben standardmäßig 28 Tage, bei wiederholter Therapie oder besonderen Fällen können sie danach aber in eine Abteilung mit 4monatiger Therapie wechseln und im Bedarfsfall danach in die Adaption in der Stadt. Kommt Euch das bekannt vor? Familienangehörige kommen für vier Tage zur Familientherapie, und für einen davon ist die Teilnahme kostenlos. Auch das ist wie bei uns. Allerdings sind die Angehörigen während der vier Tage nicht mit dem Pat. zusammen, sondern gehen miteinander die 12 Schritte von Al-Anon durch. Erst zum Schluss gibt es ein gemeinsames Gespräch. Die Pat. haben täglich Gruppentherapie, zusätzlich Themengruppen und mehrere Einzelgespräche pro Woche. Kosten für die Therapie übernehmen z.T. Krankenkassen, staatliche Stellen, die Pat. selbst oder in Härtefällen eine Stiftung glücklicher ehemaliger Hazeldon-Patienten. Der Rundgang endete im Shop, denn Hazelden ist gleichzeitig der größte Verleger für Selbsthilfeliteratur im Lande, und so konnte ich mich mit AA-Literatur eindecken. Ich habe eine neue Büro-Kaffeetasse: Mit dem Gelassenheitsspruch auf Englisch. Direct Import from Hazelden, MN. Yes!
Danach Natur. Am St. Croix River, der die natürliche Grenze zwischen Minnesota und Wisconsin bildet. Das Wasser hat sich hier in die Steine eingegraben und „Potholes“ hinterlassen, kreisrunde tiefe Löcher. Wir hatten unglaublich tollen Sonnenschein und eiskalte Temperaturen. Ohne Jeans Skijacke wäre ich verloren gewesen. Ein bisschen Kraxeln für Anfänger, dann zurück ins warme Auto. Weiter mit einem Abstecher durch Wisconsin. Alles platt. Farmen. Lange, gerade Straße. Zurück über den Fluss nach Stillwater, schnuckelige, kleine Touristenstadt am Fluss. Der Fluss führt Hochwasser durch die Schneeschmelze im Frühling. Mitten im Wasser steht jetzt dass Schild, dass an dieser Stelle Skateboarden verboten ist. Mittagssandwich in einem renovierten Hotel der Jahrhundertwende. Danach Spaziergang. Die Temperaturen erreichen unseren persönlichen Minusrekord, ungefähr -10° C, fühlt sich durch den Wind noch kälter an. Uns frieren Nasen und Ohren ab. Also gehen wir unserer Lieblingsbeschäftigung nach: Durch den Ort fahren und Häuser gucken. Und dann heim.
Jean hat sich mittlerweile ein bisschen vom Stress erholt durch ihren „freien“ Tag. Ich spaziere in diesem unglaublich tollen Sonnenschein die Straße runter zum Bäcker. Ich überlege, noch mehr zu photographieren, aber ich könnte es nicht auf einem Bild einfangen, wie ich mich fühle, während ich die 34. Avenue runterlaufe in der Sonne und der klaren, kalten Luft, vorbei an den kleinen Häuschen, die alle so verschieden sind. Jetzt erst fällt mir auf, wie natürlich es war, alleine zum Bäcker zu laufen und da alleine einzukaufen, ohne nur einen Gedanken daran zu verschwenden, ob ich das alleine hinkriege. Ich verspeiste den Kuchen wiederum im Schaukelstuhl im Wintergarten, während ich im Immobilienteil nach einem netten Häuschen für mich guckte, hellblaues Holzhaus mit Veranda und Hollywood-Schaukel.
Abends durfte ich mit zur „Adler Graduate School“, Jeans Therapieausbildung. Kurs „Multicultural counseling“. Die Professorin meinte, ich sei willkommen, aber nur wenn ich mich einbringe. Klar. Durfte ich dann gleich in der Vorstellungsrunde im Partnerinterview. Die drei Stunden Kurs waren eine Herausforderung. Ich habe vieles nicht verstanden, was die Lehrerin sagte und fragte und zweifelte sehr an meinen Englischkünsten. Nachher beruhigte mich mein Interviewpartner, auch er habe viel nicht verstanden, da die Lehrerin tatsächlich schwer verständliche Fragen gestellt habe, nicht unbedingt von der Sprache her. Gott sei Dank... Mein Interviewpartner arbeitet übrigens als Therapeut für Abhängigkeitskranke in einer Außenstelle von Hazelden mit Jugendlichen. Im Kurs saß auch wieder ein Mädchen, dass ich von ICASSI kannte. Sie hat ziemlich dumm geguckt, mich im Kurs sitzen zu sehen. War ein tolles Erlebnis. Ich würd den Kurs auch weiter besuchen. Keine Frage.
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